Demenz im fortgeschrittenen Stadium

Wir haben im letzten Artikel einen Blick darauf geworfen, wie die Demenz beginnt und wie die Betroffenen damit klarkommen können. Hier läuft vergleichsweise noch vieles glimpflich ab und die Betroffenen sind relativ selbstständig. Doch wie sieht es im weiteren Verlauf aus? Dies ist Thema dieses Artikels bei Alterix.

Inhaltsverzeichnis

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Wie es weiter geht...

Nach dem Anfangsstadium schreitet die Demenz voran. Hier wird immer offensichtlicher, dass vieles im Leben nicht mehr wie gewohnt funktioniert. Es sind nun nicht mehr die kleinen Vergesslichkeiten - Termine oder Namen - die vergessen werden. Menschen, die immer sehr auf Sauberkeit und Körperpflege bedacht waren, wirken nach und nach ungepflegt und irgendwie schmuddelig.

Am Anfang dieses Prozesses, der sich ebenso in Essverhalten, allgemeiner Sauberkeit, Alltagsorganisation, Medikamenteneinnahme, Schlafverhalten und Kontinenz usw. niederschlägt, greifen hier neben Coping-Strategien vor allem Routinen. Eine Zeit lang funktioniert es noch, dass Dinge einfach wie immer erledigt werden, wie gewohnt und aus Gewohnheit. Mit Fortschreiten der Demenz gehen immer mehr dieser Gewohnheiten verloren und verlieren ihre Bedeutung. Dann wirst du bei Betroffenen feststellen, dass ein Leben in den gewohnten Bahnen nun unmöglich ist.

Es wird Hilfe benötigt und dies wiederum stellt dich vor neue Herausforderungen; in viel mehr Bereichen als nur der Organisation! Es gibt zur Unterstützung Pflegedienste, Tagespflegen, die Familie kann vielleicht auch mithelfen. Eventuell beschließt du sogar, die Angehörigen mit in den eigenen Haushalt zu nehmen oder du suchst eine geeignete Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung. In jedem Fall wird es Veränderungen geben und diese wird der/die Betroffene unter Umständen nicht widerstandslos über sich ergehen lassen. Ein Pflegedienst im Haus kann als ein Eindringen in die Privatsphäre und als bedrohlich empfunden werden, Tagespflege kann sich als nicht das Richtige herausstellen und freie Plätze in Einrichtungen, die für Menschen mit Demenz geeignet scheinen, sind auch nicht so zahlreich, dass wirklich freie Wahl möglich wäre.

Diese Phase geht sehr oft - ich würde sogar sagen in der Mehrheit der Fälle - einher mit einer ausgesprochener Uneinsichtigkeit der Betroffenen in ihrem dementiellen Geschehen. Hilfe wird abgelehnt, weil das Selbstbild ein völlig anderes ist, als das von außen beobachtbare. Du erinnerst dich vielleicht noch an ein Stichwort aus dem vorigen Artikel: Selbstverteidigungsprogramm. Die eigene Autonomie wird verteidigt, koste es was es wolle! Gerade in dieser Phase ist dieser Mechanismus sehr stark.

Das liegt m.E. an Folgendem: Die Menschen haben sehr wohl ein Gefühl dafür, dass Dinge passieren, die sie nicht mehr beeinflussen können, sie fühlen es als Bedrohung und als Verluste, sehr tiefgreifende Verluste! Sie spüren auch, dass sie diesem Geschehen nichts entgegenzusetzen haben. Diese Eigendynamik muss einen Menschen doch eigentlich verrückt machen! Zudem fehlen zunehmend die intellektuellen Mittel, auf die Situation zu reagieren. Und dann passiert das, was wir am Anfang schon mal hatten– es wird kompensiert, nur dass die Coping-Strategien ihre Wirksamkeit verlieren, weil sie schlicht und einfach immer weniger durchdacht sind. Und – last but not least – die Menschen vergessen, dass sie vergessen. Sie fühlen sich völlig zu Unrecht „beschuldigt“, Dinge falsch zu machen oder gar nicht gemacht zu haben. Auf die Frage „Hast du schon geduscht?“ kann mit voller Überzeugung mit „Ja, sicher!“ geantwortet werden, weil hier Folgendes passiert: Duschen gehört – so hört es der Betroffene – irgendwie zu irgendwas, was ich tun soll. Und jetzt kommt der Clou: Ich erinnere mich unter Umständen gar nicht mehr daran, was Duschen sein soll, aber meiner Tochter ist das offensichtlich wichtig und mit der verbinde ich emotional sehr viel- also habe ich geduscht! Oder gegessen... Oder meine Tabletten genommen... Das war ja wohl die Anforderung. Und ich habe immer die Anforderungen an mich erfüllt. Ich kann natürlich auch genervt regieren, wenn ich mich nicht erinnere und das nicht zugeben kann, weil mir nicht bewusst ist, dass ich mich nicht erinnere. Oder weil es mir schlicht peinlich ist, dass ich offensichtlich etwas nicht mehr verstehe.

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Du verstehst, was ich meine...

Wahrscheinlich sind es immer mehrere Dinge gleichzeitig, die da greifen. Auch hier gilt: Die Abbauprozesse und der Umgang der Menschen mit Demenz mit ihren mehr werdenden Defiziten verläuft individuell, nicht linear und mal als schleichender Prozess, mal in Schüben. In dem Geschehen spielen natürlich viele Komponenten eine Rolle wie Tagesform, das Verhältnis zueinander, die bisherigen Strategien bei Krisen und auf jeden Fall auch der Charakter der Betroffenen. Auf viele dieser Dinge werden wir im nächsten Teil eingehen, wenn es um den adäquaten Umgang mit Menschen mit Demenz geht.

In dieser Phase der Demenz kommen viele Dinge zusammen. Gelerntes geht nach und nach verloren, das Kurzzeitgedächtnis ebenso, Worte verlieren an Bedeutung, Sprache verwischt, die Motorik kann unsicher werden, das Sturzrisiko steigt. Essen verliert an Bedeutung ebenso wie Ausscheidungen, Körperpflege usw. Das nimmt stetig zu, ein Mittel dagegen gibt es im landläufigen Sinn nicht. Wozu ich aber immer rate, ist ressourcenorientiertes Handeln: Dass etwas verloren geht, wissen wir ja, aber indem wir die Menschen ihre Ressourcen nutzen lassen, erhalten wir noch Vorhandenes, so lange es geht, und damit Autonomie und Würde!

In der Fachliteratur wird Demenz ebenfalls in Phasen eingeteilt, diese werden ähnlich beschrieben, wie ich es hier tue! Allerdings sehe ich diese Phasen nicht als streng aufeinander folgend mit einer festgelegten Reihenfolge. Die „letzte“ Phase wird oft beschrieben als die, in der die Menschen nur noch apathisch vor sich vegetieren und keinerlei Kontakt zur Außenwelt mehr aufbauen. Ich habe selbst Menschen mit Demenz in diesem Zustand gesehen, allerdings muss ich gestehen: Ich halte diesen Zustand für vermeidbar. Das greift aber schon in den weiteren Teil vor, in dem es darum gehen wird, wie es gelingen kann, Menschen mit Demenz ein Lebensende in Würde und Selbstbestimmung zu gestalten. Nur so viel: Ich glaube, dass Würde und Selbstbestimmung DIE Schlüssel für alle sind, die ein glückliches Leben führen. Die Frage ist, wie wir es hinbekommen, ein so tiefes Verständnis für sich verändernde Menschen zu entwickeln, dass ihre Begleitung in ihren letzten Lebensmetern für beide Seiten zufriedenstellend und lebenswert ist.

Wie das gehen kann? Dazu im nächsten Artikel mehr...

Kommentar von Susanne M. |

Ich kann mich leider nicht mehr daran erinnern, wie es für meinen Vater war, als die Diagnose "Demenz" feststand.
Was ich noch weiß, ist, dass er eines Tages, als er von einem Spaziergang zurückkam, empört rief: "Ich bin nicht verrückt!" Zornig war er oft, und das ist in meinen Augen eins der typischen Merkmale dieser Krankheit: Zorn, der aus Hilflosigkeit resultiert. Ein weiteres ist die Angst - vor dem Verlust der Erinnerungen und davor, was da mit einem passiert.
Pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz sehen sich häufig mit Vorwürfen und Verdächtigungen konfrontiert. So unterstellte mein Vater meiner Mutter plötzlich, sie sei ihm Jahrzehnte zuvor untreu gewesen. Anstatt zum Volleyball wäre sie immer zu ihrem Liebhaber gefahren.

Quelle:
https://www.aok.de/pk/demenz/erkennen-und-behandeln/
https://www.pflege-durch-angehoerige.de/demenz-verstehen-teil-1-wenn-oma-glaubt-dass-sie-bestohlen-wurde/

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