Geistige Leistungsfähigkeit im Alter

Erinnerungslücken, Gedächtnisprobleme, eingeschränkte Lernfähigkeit: Mit dem Altern drohen Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit. Doch es geht auch anders! Wie es ums Gehirn und die geistige Leistungsfähigkeit im Alter bestellt ist und was du dafür tun kannst - das erfährst du in diesem Artikel.

Inhaltsverzeichnis

Bislang war es gängige Meinung, die kognitive Leistungsfähigkeit nehme mit dem Alter stetig ab, ein Prozess, der schon vor dem 30. Lebensjahr beginne und dann unausweichlich fortschreite. Neue Studien offenbaren, dass Wissenschaft und allgemeine Meinung dies viel zu eindimensional gesehen haben. Denn bestimmte Funktionen der kognitiven Intelligenz erreichen laut einer Studie des MIT (Massachusetts Institute of Technology) in unterschiedlichen Lebensphasen ihren Höhepunkt. So bilden sich die Frontallappen im Neokortex, dem vorderen Teil des Gehirns, erst mit etwa 35 Jahren vollständig aus, das zu einem Höhepunkt der Aktivitäten führt, die zur Steuerung des eigenen Verhaltens notwendig sind. Dazu gehören auch Funktionen wie Arbeitsgedächtnis und Planungsfähigkeit. Mit der Verarbeitungsgeschwindigkeit sieht es hingegen anders aus: Diese erreicht wie die physische Leistungskurve mit etwa 19 Jahren ihren Höhepunkt. Bei den sprachlichen Fähigkeiten wiederum fanden die Forscher eine stetige Zunahme. Sie erreichen erst mit Mitte 60 ihren Höhepunkt und können sich lange halten, sofern andere Faktoren günstig wirken, wie beispielsweise Ernährung, Bewegung und Glücksempfinden.

Wunderwerk Gehirn

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Ⓒ Pop Paul-Catalin/shutterstock_683771194

Unser Gehirn benötigt über ein Fünftel des Sauerstoffs als Energieträger im Blut, obwohl es nur etwa zwei Prozent unseres Gesamtkörpergewichts ausmacht. Zudem verändert es sich im Laufe des Lebens mehr als jedes andere Organ. Jede der über 100 Milliarden Nervenzellen des Gehirns bildet bis etwa 200.000 Verbindungen (Synapsen) aus. Neuroplastizität nennt man es, wenn sich durch gesammelte Erfahrungen neue Hirnstrukturen entwickeln, also Verbindungen zwischen Nervenzellen und bestimmten Hirnarealen entstehen, die mit neuen Fähigkeiten einhergehen. Wer zum Beispiel ein Instrument spielen lernt, schult jene Gehirnareale, die mit Feinmotorik, Gehörsinn und Mathematik zu tun haben. Dort entstehen neue Synapsen; ein bildhafter Vergleich sei hierzu gestattet: zuerst ein kleiner Sandweg, der mit viel Übung zur Autobahn wird. Zwar nimmt die Neuroplastizität im Laufe der Zeit etwas ab, aber wie ein Singvogel in jedem Frühling ein neues Lied lernt, so kann der Mensch auch sein Leben lang lernen.
Ebenso verhält es sich mit der Neurogenese; diese Verminderung der Neubildung von Gehirnzellen bedeutet aber nicht, dass unsere geistige und Leistungsfähigkeit nachlässt. Schauen wir uns die Intelligenz-Funktionen genauer an:

Leistungseinbußen und gleichzeitig Zugewinn im Alter!

Der Persönlichkeitspsychologe Raymond Cattell hat zwei wesentliche Komponenten menschlicher Intelligenz herausgestellt: Zum einen die sogenannte fluide, zum anderen die kristalline Intelligenz. In verschiedenen Testreihen haben Joshua Hartshorne (MIT) und Laura Germine, Postdoktorandenstipendiatin am MGH (Massachusetts General Hospital), die erste Form - die fluide Intelligenz - als diejenige bestätigt, die tatsächlich in jungen Jahren stärker ausgeprägt ist. Die Plastizität des Gehirns ist hier noch höher. Fluide Intelligenz beschreibt die Fähigkeit, schnell und abstrakt zu denken. Dazu gehört unter anderem das räumliche Verständnis, die Fähigkeit Probleme zu lösen, Lernen, schnelle Auffassungsgabe und ein gutes Gedächtnis.

Die kristalline Intelligenz hingegen beschreibt Erfahrungswissen, Wortschatz, Analogieverständnis und die Fähigkeit, neue Informationen in bereits bestehende Kontexte zu integrieren. Sie nimmt mit dem Alter zu, das uns logisch erscheint: haben wir mehr Wissen und Erfahrung aufgenommen, können wir auch mehr damit anfangen. Forscher vermuten, dass diese Lernfunktionen sehr stark vom Hippocampus abhängig sind. Dieser Teil des Gehirns weist neben dem Frontallappen mit fortschreitendem Alter die höchste Zellneubildungsrate auf.

Beide Intelligenzformen sind miteinander verknüpft, denn die Entwicklung der kristallinen Intelligenz kann sich nur in Abhängigkeit zur fluiden Intelligenz entwickeln, bei der angenommen wird, dass sie genetisch bedingt ist.

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Ⓒ beeboys/shutterstock_407113729

Die Intelligenz-Kombi macht den Unterschied

Die kristalline Intelligenz kann in einer Hinsicht nicht ersetzen, was an 'fluiden' Fähigkeiten nachlässt. So zum Beispiel die Fähigkeit, schnell Neues zu erlernen und motorische Fähigkeiten neu auszubilden. Doch dem steht der Erfahrungsschatz des 'kristallinen' Älteren gegenüber, der dies hervorragend ausgleichen kann. Das zeigt sich unter anderem daran, wenn es darum geht, aufgenommene neue Informationen zu bewerten, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und Strategien zu entwickeln, die sich auf bereits vorhandenes Wissen beziehen.

Somit drückt sich die höchste geistige Leistungsfähigkeit eines Menschen dadurch aus, dass beide Intelligenzbereiche zusammenwirken; einen Zeitpunkt oder ein Alter zu bestimmen, an dem dies bei geistig aktiven Menschen einen optimalen Punkt erreicht, hängt von vielen individuellen Faktoren ab, die oft erst in den Vierzigern liegen. In gewissen Fällen ist es sogar berufsabhängig: Personen, die im Bereich der Mathematik und Informatik zum Beispiel arbeiten, erreichen diese Phase früher, weil ihr Beruf eine enorme geistige Flexibilität und analytisches Denken verlangt.

Kognitive Defizite beim Älterwerden – was ist normal?

Während du eine netten Anekdote erzählst, fällt dir auf einmal der Name einer früheren Kollegin nicht mehr ein? Irgendwie beunruhigend ... ist das der Beginn von Alzheimer? Nein, in den meisten Fällen nicht - so sagen die Mediziner. Denn folgende Einbußen werden medizinisch gesehen als "normal" befunden:

  • Erinnerungsvermögen geht zurück (u. a. Zahlen, Namen, Termine und vollständig neue Informationen)

  • Fähigkeiten zum Multitasking, dem Verarbeiten mehrere Dinge gleichzeitig, lassen nach

  • Flexibilität zum sofortigen Umstellen auf eine veränderte Situationen nimmt ab

Als Erklärung dafür bringen die Mediziner an, dass die Gehirnmasse in den für bestimmte Denkprozesse wichtigen Arealen des Hippocampus und Frontallappen leicht zurückgeht, das mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr gedämpft werden kann, außerdem verlangsamt sich die Produktion der chemischen Botenstoffe (Neurotransmitter) ebenso wie die Zellneubildungsrate im gesamten Körper. Wir bemerken das, wenn kleine Wunden und Kratzer oder gar Knochenbrüche länger brauchen, um zu heilen. So nehmen auch Glücksgefühle sowie Wachheit ab.

Krankheitsbedingte Einschränkungen gehen hingegen mit größeren kognitiven Einbußen einher. Dazu gehören Schlaganfall, Demenz und Hirnschädigungen sowie Narkosen oder Koma. Die Risiken für Gehirnerkrankungen kannst du minimieren, indem du Fettleibigkeit, süße Speisen und Bewegungsmangel vermeidest.

 

Intelligent älter werden

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ⒸSebra/shutterstock_507817072

Das gesamte Spektrum der fluiden Intelligenz - inklusive Merkfähigkeit - kannst du trotz des beschriebenen Abbaueffekts in jedem Alter trainieren. Ein optimales Beispiel hierfüt stellt das Gehirnjogging dar, bei dem Fertigkeiten wie Verarbeitungsgeschwindigkeit, Flexibilität, Gedächtnis und überhaupt geistige Fitness trainiert werden. Vielleicht denkst du hierbei zunächst an Kreuzworträtsel oder bestimmte Merkaufgaben. Manch einer mag sie, manch einer eher weniger. Doch eines steht fest: Sie trainieren die kognitive Leistungsfähigkeit. Durch das Lösen von Rechenaufgaben wird aber dein Sprachverständnis nicht besser und auch nicht deine Kreativität. Hierzu sind andere Herangehensweisen empfehlenswert: Um eine Übertragung der erworbenen Fähigkeiten in andere Lebensbereiche zu erreichen, bringt es nach neuesten Erkenntnissen mehr, sich täglich kleinen neuen Aufgaben in den verschiedensten Situationen zu stellen. Dies können folgende Dinge sein:

  • Ohne Navigationsgerät einen neuen Weg fahren

  • Bildhafte Assoziationen zu Namen herstellen

  • Magie des Neuanfangs nutzen

Beweg dich aus dem Bekannten heraus, suche Herausforderungen abseits der Routine und des stetig gleichen Tagesablaufs. Denn auf diese Weise wird das Gehirn richtig gefordert. Dies machst du am besten, während du lebst und dein Leben genießt.

 

Super-Ager

Der Angizismus mit lateinischem Lehnwort bezeichnet die Menschen, deren Gehirnvolumen weniger schrumpft. Sie sind mit 80 geistig so fit wie andere mit 50. „Sie kriegen es hin, dass sie während ihrer ganzen Lebensspanne gesund bleiben. Und - sie leben wirklich gut, gesund und genießen ihr leben“, sagt Emily Rogalski, Professorin am Center of Cognitive Neurology and Alzheimer's Disease (CNADC) an der Northwestern University Feinberg in Chicago.

Für den Fall, dass du nicht zu den Super-Agern zählst: nachweislich haben wir es alle selbst in der Hand, dem kognitiven Abbau entgegenzusteuern. Dabei hilft uns:

  • regelmäßige Bewegung: hier ist Tanzen an vorderster Front, da es sehr viele Hirnareale anspricht!

  • intellektuelle Stimulation (Rätsel, Spiele, Neugier)

  • Freundschaften und soziale Kontakte pflegen

  • Stress minimieren

  • gesund essen (ballaststoffreich und kohlenhydratarm) und trinken

  • hinreichend und erholsam schlafen (Schlafhygiene)

  • Instrument spielen und Singen

Eine alte Weisheit sagt: Zeit, die man singt geht nicht von der Lebenszeit ab; Tanzen regt Körper und Geist gleichermaßen an, und du bist gleichzeitig in Gesellschaft. Gehe spazieren und nutze die Fugen der Pfastersteine für ein kleines Spiel, indem du nicht darauf trittst. Astrid Lindgren sagte mit 84 Jahren: es gibt kein Verbot für alte Weiber, auf Bäume zu klettern - denn sie hat es mit einer Jugendfreundin getan. Die beiden Mädels waren Super-Ager, bevor es das Wort gab.

Kommentar von Susanne M. |

Obwohl ich eine Anhängerin des lebenslangen Lernens bin, fiel mir die Umschulung zur Fachinformatikerin, die ich im Alter von 50 Jahren begann, oft schwer. Das lag wahrscheinlich daran, dass sie überwiegend in Form von Online-Unterricht stattfand und mein Gehirn den Lehrstoff nicht mehr so ohne weiteres abspeichern konnte wie in der Schulzeit. In den Pausen oder Freistunden ging ich gerne spazieren und merkte, dass ich danach wieder aufnahmebereiter war.
Zum Glück habe ich heute einen Beruf, in dem es immer wieder etwas Neues zu lernen gibt. Und ich stehe deutlich weniger unter Stress als in meinem alten Job, was meiner geistigen Leistungsfähigkeit sicherlich guttut.

Bitte addieren Sie 6 und 4.
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