Borderline Störung

Sind Borderliner nicht die, die sich ritzen? Du kennst sicherlich die Bilder von jungen Menschen mit vernarbten Armen, Beinen und einem permanent traurigen Gesichtsausdruck. Doch weißt du auch, was häufig hinter diesen Akten der Selbstverletzung steht? Es ist bei Weitem nicht das einzige Symptom einer Borderline-Störung. Erfahre hier, woran du Betroffene erkennst, wie du mit ihnen umgehst und welche Chancen auf Heilung es gibt.

Inhaltsverzeichnis

Im Auf und Ab der Gefühle

Andrea ist 11 Jahre alt, als sie das erste Mal in ein Kinderheim kommt. Ihre Mutter ist mit ihr überfordert. Innerhalb von sechs Jahren wechselt sie 20 Mal das Heim. Schuld daran ist ihr wiederkehrendes, impulsives sowie unkontrollierbares Verhalten. Im jungen Erwachsenenalter lebt sie abwechselnd bei Freunden, in Wohnheimen und in der Psychiatrie. Die wiederholten Suizidversuche enden stets in geschlossenen Einrichtungen. Außerhalb der Klinik nimmt sie Drogen, trinkt viel Alkohol und ritzt sich. Sie sagt selbst, dass sie immer wieder selbst alles kaputtmacht. Erst als sie mit 23 schwanger wird, nimmt ihr Leben eine Wendung. Nach einjährigem Aufenthalt im Mutter-Kind-Heim bezieht sie zum ersten Mal eine eigene Wohnung. Ihr größtes Ziel ist es nun, für ihre Tochter da zu sein und besser für sie zu sorgen, als es ihre eigenen Eltern für sie getan haben.

Die Borderline-Störung zählt zu den Persönlichkeitsstörungen vom Typ „emotional instabil“. Persönlichkeitsstörungen sind besonders tiefgreifende psychische Störungen, die das ganze Leben der Betroffenen beeinträchtigen und sehr schwer zu therapieren sind. Folgende drei Symptomgruppen kommen bei Betroffenen vor:

Unkontrollierbare Emotionen

Typisch für Borderline ist das Zusammenspiel aus einem Gefühl der inneren Leere mit unberechenbaren Emotionen. Von Borderline Betroffene sind äußerst sensibel. Ihre eigenen Reaktionen auf bestimmte Ereignisse können sie selbst überraschen. Wut bis hin zu körperlicher Gewalt gegen sich oder andere ist eine typische Reaktion auf Umbrüche. Insgesamt ist das Betragen von Impulsivität gekennzeichnet. Selbstschädigende Verhaltensweisen wie Selbstverletzung, impulsives Essen, exzessives Sexualleben, Drogenkonsum und Glücksspiel gehören zum Krankheitsbild. Etwa 60 % der Betroffenen begehen mindestens einen Selbstmordversuch.

Die Angst vor dem verlassenwerden

Die Gestaltung und Aufrechterhaltung von Beziehungen fällt Borderline-Patienten schwer. Sie schwanken zwischen leidenschaftlicher Idealisierung des Gegenübers und abwertender Wut. Was im jeweiligen Moment zutrifft, ist für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Borderline-Patienten können nicht alleine mit sich sein. Daher fordern sie die ganze Aufmerksamkeit von ihren Beziehungspartnern und setzen alles daran, nicht verlassen zu werden. Dem entgegen stehen ihre starken Stimmungsschwankungen. So sind ihre Beziehungen intensiv aber kurz und enden stets in einer emotionalen Katastrophe, die mit einem Selbstmordversuch einhergehen kann.

Alles nur eingebildet?

Borderline-Patienten sind unberechenbar, da sie eine ganz eigene Wahrnehmung der sie umgebenden Umstände haben. Für andere Menschen sind ihre Reaktionen schwer nachzuvollziehen und selten vorhersehbar. Kleinigkeiten können eine emotionale Kaskade in Gang bringen, die nicht mehr zu stoppen ist. In Extremfällen neigen Betroffene zur Paranoia. Sie bilden sich ein, verfolgt oder bedroht zu werden. In Belastungssituationen beschleicht sie das Gefühl, neben sich zu stehen, nicht sie selbst zu sein. Generell macht es die Borderline-Persönlichkeitsstörung den Betroffenen schwer, ein stimmiges Selbstbild zu entwickeln. Sie sind sich unklar darüber, was sie als Person ausmacht und was ihre Ziele und Vorlieben sind.

Wusstest du schon?

Welche psychischen Störungen es gibt und was genau sie ausmacht, ändert sich im Laufe der Zeit. Psychologische Diagnosemanuale nehmen lediglich eine Etikettierung bestimmter Symptommuster vor. Bewähren sich diese in der Praxis, werden sie beibehalten. Können Therapeuten mit ihnen nicht arbeiten, werden sie in der nächsten Ausgabe des Manuals angepasst.

Borderline als unerkannte Krankheit im Hintergrund

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Wenn du dir diese Symptome durchliest, kommt dir vielleicht die Idee, dass sie auf eine Person in deinem Umfeld zutreffen. Hier ist es ganz wichtig zu differenzieren, was lediglich Charakterzüge sind und was tatsächlich eine behandlungsbedürftige Krankheit darstellt. Bei Persönlichkeitsstörungen ist es generell so, dass in ihnen menschliche Eigenarten vereint werden, die ebenso bei gesunden Individuen vorkommen. Der große Unterschied liegt im Ausmaß und der Beständigkeit der Eigenschaften und Verhaltensweisen.

Borderline-Patienten sind aufgrund ihres Krankheitsbildes nur eingeschränkt zu einem selbstständigen Leben fähig. Aus der Interaktion ihrer Symptome mit der Außenwelt erwachsen Probleme, die zu großem Leiden führen. In der Regel begeben sich Betroffene aufgrund von vordergründigen psychischen Störungen wie beispielsweise Depressionen, Essstörungen oder Drogenmissbrauch in eine Therapie. Der Therapeut erkennt dann erst mit der Zeit, dass den Problemen eine Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus zugrunde liegt.

Falls du bei einer Person den Verdacht auf eine Borderline-Störung hast, stelle dir folgende Fragen:

  • Sind die Symptome aus den drei oben genannten Bereichen schon immer vorhanden?
  • Leidet die Person unter ihrem eigenen Verhalten bzw. der Reaktion ihrer Umwelt darauf?
  • Ist der Betroffene ohne Unterstützung nicht lebensfähig?

Falls du alle Fragen mit „Ja“ beantworten kannst, kann tatsächlich eine Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ vorliegen. Letzten Endes kann aber nur ein erfahrener Therapeut eine eindeutige Diagnose stellen.

Mit zunehmendem Alter wird Borderline seltener

Ungefähr 2 % aller Menschen in Deutschland leiden unter der Borderline-Störung. Die Statistiken zeigen, dass vorrangig Personen im jungen Erwachsenenalter betroffen sind. So tritt Borderline bei 5 % aller 15-Jährigen und bei 4,2 % aller 20-Jährigen auf. In der Altersgruppe der 45-Jährigen liegt die Quote nur noch bei 0,7 %.

Gespräche helfen mehr als Pillen

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist schwer zu therapieren. Ihre Ursachen liegen in der Kindheit und Jugendzeit. Die dysfunktionalen Verhaltensmuster sind daher fest etabliert und die Patienten sind im Schnitt wenig motiviert, sie zu verändern. Während Borderline lange Zeit als unheilbar galt, kommen neuere Therapieverfahren heute auf Heilungsquoten von 33 %. Bewährte Verfahren sind hierbei die dialektisch-behaviorale Therapie nach Linehan sowie die mentalisierungsbasierte Psychotherapie.

Beide Therapieformen legen einen Schwerpunkt auf die therapeutische Beziehung. Da Borderline-Patienten mit der Zwischenmenschlichkeit große Probleme haben, muss zunächst ein solides Fundament für die künftige Zusammenarbeit geschaffen werden. Später geht es vor allem um das Verstehen der eigenen inneren Vorgänge wie auch derer von Personen im Umfeld der Patienten. Reaktionen müssen verstanden und vorhersehbar werden. Darüber hinaus bekommen Borderline-Patienten ein Arsenal an Skills an die Hand, die zur Anwendung kommen, wenn das Bedürfnis nach Selbstverletzung oder Suizid die Oberhand gewinnt.

Alles in allem ist die Psychotherapie langwierig und sehr komplex. Wenn du selbst jemanden mit Borderline kennst, musst du dir ein dickes Fell zulegen. Es kann besser sein, den Kontakt zu dieser Person komplett abzubrechen, wenn es dir sehr zu schaffen macht. Ansonsten kannst du nur bei Bedarf mit Rat und Tat parat stehen. Sei der Fels in der Brandung, der alle Wellen über sich ergehen lässt, sich selbst aber nicht verändert.

Fazit

Die Borderline-Störung ist eine tiefgreifende Persönlichkeitsstörung, die den Betroffenen ein selbstständiges Leben äußerst schwer macht. Der Kontakt zu betroffenen Personen gestaltet sich schwierig. Das allgemein bekannte Ritzen ist nur eines von vielen Symptomen, wie beispielsweise extreme Stimmungsschwankungen, intensive Beziehungen und ein gestörtes Selbstbild. Die Störung ist selbst für Psychotherapeuten schwer zu erkennen, kann aber behandelt werden. Ein Drittel der Betroffenen wird dauerhaft geheilt.

Das zentrale Symptom ist die emotionale Instabilität. Betroffene reagieren vor allem im zwischenmenschlichen Bereich unvorhersehbar und heftig. Selbstverletzendes Verhalten entsteht in der Reaktion auf die als überwältigend empfundenen Emotionen. Unter dem unberechenbaren Verhalten leiden vor allem private Beziehungen. Oft kommt es auch im Arbeitsleben zu Komplikationen. Das Verhalten von Borderline-Patienten ist geprägt von der Suche nach einer Bestätigung ihrer selbst. Sie wissen nicht, was sie als Person ausmacht und fühlen sich im Inneren leer. In Extremfällen kann es im Rahmen einer Borderline-Störung zu Wahnvorstellungen kommen. Manche Betroffene fühlen sich im eigenen Körper fremd.

Es eignen sich die dialektisch-behaviorale Therapie nach Linehan sowie die mentalisierungsbasierte Psychotherapie. Im Zentrum steht stets der Aufbau einer belastbaren Beziehung zwischen Patient und Therapeut. Borderline-Patienten müssen lernen, ihre eigenen Reaktionen wie auch die von anderen Menschen nachzuvollziehen. Gegen selbstverletzende Verhaltensweisen gibt ihnen der Therapeut Notfalltechniken an die Hand.

Die Gesamtprävalenz liegt bei 2 %. Die frühere Annahme, dass Frauen deutlich häufiger betroffen seien als Männer, gilt inzwischen als überholt. Mit zunehmendem Alter wird die Diagnose immer seltener gestellt. In der Altersgruppe der 20-Jährigen liegt die Prävalenz bei 4,7 %. In der Gruppe der 45-Jährigen kommt Borderline nur bei 0,7 % aller Personen vor.

Der Begriff stammt aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit wurden psychische Störungen nach den Lehren der Psychoanalyse in die beiden Gruppen „Psychosen“ und „Neurosen“ eingeteilt. Da Borderline-Patienten Symptome aus beiden Bereichen aufwiesen, wurden sie als „Grenzgänger“ klassifiziert. Heute gilt diese Kategorisierung als überholt.

Ursachen einer Borderline-Störung liegen immer in Kindheit und Jugend der Betroffenen. In der Regel erlebten sie schwere psychische, teilweise auch körperliche Misshandlung. Borderline-Patienten haben während des Aufwachsens nicht den behüteten Rahmen, den sie aufgrund ihrer Sensibilität bräuchten. Es wird auch eine erbliche Komponente angenommen. Eine klare Begründung, warum eine Person emotional instabil wird, kann bislang aber niemand geben.

Quellen

Davison, Neale und Hautzinger: Klinische Psychologie, 7. Auflage, Beltz PVU, Weinheim 2007.
https://youtu.be/UCxGJ0KZUAQ
https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD012955.pub2/full
https://www.unimedizin-mainz.de/fileadmin/kliniken/ps/Dokumente/Vortraege/State_of_the_Art_2012.pdf
https://youtu.be/yYH3jQvFFHM → Beispiel im 1. Abschnitt
https://de.wikipedia.org/wiki/Dialektisch-Behaviorale_Therapie
Zusatzmaterial:
https://alterix.de/gesundheit/geistig-fit/die-h%C3%A4ufigsten-geistigen-krankheiten-im-alter-1077.html
Buch: Borus&Reicherzer: Ratgeber Borderline-Störung, 2. Auflage, Hogrefe, 2020.
https://youtu.be/u4MKv-M3OqQ

Kommentar von Thomas |

Meine Schwester hat die Borderline-Störung. Ihre Arme sehen entsprechend aus, wie man sich das halt so vorstellt. Von dem her ist es beruhigend zu lesen, dass das Ganze im Alter besser wird. Ich habe auch den Eindruck, dass das Ausmaß bei ihr von Jahr zu Jahr leichter wird. Trotzdem habe ich Angst vor einem Rückfall. Ich möchte sie gerne weiter auf ihrem Weg begleiten, aber manchmal fühle ich mich selbst gefangen – mir fehlt einfach der Blick von außen und neue Ideen.

Kommentar von Susanne M. |

@ Thomas
Hast du denn Kontakt zu Angehörigen oder Partnern anderer Borderliner? Den Austausch mit Betroffenen stelle ich mir auf jeden Fall hilfreich vor.

Viele Borderliner leben in einem ständigen Zustand innerer Anspannung. Wenn sie sich selbst verletzen, lässt diese vorübergehend nach. Andere ritzen sich aus einem Gefühl innerer Leere heraus oder weil sie sich selbst hassen.
Das Zusammenleben oder die Freundschaft mit einem Borderliner ähnelt einer Achterbahnfahrt. In einer Beziehung schwanken sie häufig zwischen Verlustangst und der Angst vor zu viel Nähe. Mal wird der Partner stark idealisiert, mal zum Hassobjekt, und dazwischen gibt es nichts. Der Grund dafür ist, dass es für Borderliner nur die Extrema schwarz und weiß gibt.

Quellen:
https://www.mentalhealthcrowd.de/bpd-symptome-erklaert-n5/
https://www.onmeda.de/gesundheit/partnerschaft/borderline-beziehung-anzeichen-id202958/

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