Plötzlich pflegebedürftig: Und jetzt?
Tag X ist gekommen: Mutter, Vater oder Partner kommen nicht mehr alleine klar. Unterstützung muss her – und zwar schnell. Um rasch den Alltag wieder in geordnete Bahnen zu lenken kann es helfen, wenn du dir eine kleine Checkliste anfertigst. So vergisst du nicht, welche Stellen du unbedingt anrufen solltest, welche Fristen zu beachten sind und ob du besondere Unterlagen bereithalten musst. Außerdem kannst du dir für die Zeit, die du für die Organisation brauchst, Luft verschaffen. Das Gesetz gibt dir dafür einige Möglichkeiten. Zudem verschenkst du bares Geld, wenn du mit dem Antrag auf Einstufung in einen Pflegegrad zu lange wartest. Denn mit einem Pflegegrad hat dein Angehöriger Anspruch auf Leistungen der Pflegekasse. Ab Pflegegrad 2 etwa auf Pflegegeld und/oder Pflegesachleistungen, die zum Beispiel ein ambulanter Pflegedienst erbringet. Falls beispielsweise nach einem Krankenhausaufenthalt nur vorübergehend Pflege benötigt wird, ist häusliche Krankenpflege im Sinne der Krankenhausvermeidungspflege [1] angesagt. Das geht auch ohne Einstufung in einen Pflegegrad.
Inhaltsverzeichnis
I. Bewahre Ruhe!
Auch, wenn die Situation sehr emotional und anstrengend ist, viel bedacht werden soll und die Ereignisse sich überschlagen – das Gras wächst auch nicht schneller, nur weil man dran zieht. Nimm dir die Zeit, kurz innezuhalten und dir eine Liste zu erstellen. Schreibe auf, wann du wen anrufen wirst, notiere direkt die Telefonnummer dazu – und in kurzen Worten, was du mit demjenigen klären möchtest.
II. Rede mit deinem Arbeitgeber.
Wenn du die Pflege für deinen Angehörigen nicht mal eben so nebenbei organisieren kannst, darfst du dafür zehn Tage frei nehmen. Dann bekommst du in diesem Zeitraum das sogenannte Pflegeunterstützungsgeld [2] – im Normalfall sind das etwa 90 Prozent deines normalen Gehalts. Dieses Geld musst du bei der Pflegekasse beziehungsweise bei der privaten Pflegeversicherung beantragen. Wenn dein Arbeitgeber es verlangt, musst du dafür eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, die die Pflegebedürftigkeit deines Angehörigen bestätigt und dein Fernbleiben von der Arbeit rechtfertigt. Die Kosten für diese Bescheinigung musst du selbst tragen.
III. Beschreibe den Pflegebedarf in deinen eigenen Worten
Notiere dir, welche Einschränkungen bei deinem Angehörigen vorliegen und überlege direkt, was du selbst in Zukunft leisten kannst und willst – und was nicht. Wenn du dir darüber im Klaren bist, welche Hilfe von außen nötig ist, kannst du zielgerichteter mit Pflegekasse, Beratungsstellen und Dienstleistern telefonieren und konkretere Fragen stellen.
IV. Melde dich bei der zuständigen Pflegekasse.
Melde dich bei der zuständigen Pflegekasse, sofern dein Angehöriger das nicht selbst tun kann. Das kannst du telefonisch tun – allerdings musst du bedenken, dass schon dieser Anruf als Datum vermerkt wird, wenn es um den Bezug von Leistungen geht. Sofern nämlich ein Pflegegrad erteilt wird, hat dein Angehöriger Anspruch auf den Entlastungsbetrag und eventuell auch Pflegegeld oder Pflegesachleistungen. Dabei wird der gesamte Monat, in dem der Antrag gestellt wurde, mitberücksichtigt. Um einen Nachweis zu haben, melde dich also besser zusätzlich noch auf schriftlichem Weg bei der Pflegekasse.
V. Vorübergehende stationäre Unterbringung?
Du willst grundsätzlich deinen Angehörigen zuhause pflegen oder pflegen lassen – aber nach dem unerwarteten Schlaganfall oder der plötzlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes schaffst du es nicht, alles ad hoc zu organisieren? Wenn du dir zeitlich Luft verschaffen musst, dann ist die Kurzzeitpflege (s.u.) eine Möglichkeit, deinen Angehörigen vorübergehend stationär versorgen zu lassen, sofern er bereits im Krankenhaus mindestens Pflegegrad 2 bescheinigt bekommen hat. Speziell, wenn nach so einem Krankenhausaufenthalt ohne jede Vorwarnung zuhause erst einmal alles umgekrempelt werden muss, verschafft diese zeitlich begrenzte stationäre Unterbringung Luft. Sofern du die Pflege künftig selbst übernehmen möchtest, kannst du auch in Zukunft Auszeiten nehmen. Das geht dann über die Verhinderungspflege (s.u.).
VI. Wende dich an einen Pflegestützpunkt.
Auch, wenn die Pflegekasse dir Beratung anbieten muss: Rufe bei einem Pflegestützpunkt an. Dort sitzen kompetente Leute, die sich besonders in deiner jeweiligen Region auskennen. So kommst du rasch an wichtige Informationen zu Hilfsangeboten in deinem näheren Umfeld. Auch Listen mit stationären Einrichtungen für Pflegebedürftige stehen dort zur Verfügung.
VII. Suche wichtige Unterlagen zusammen.
Arztberichte, Entlassbriefe vom Krankenhaus, Behindertenausweis – alles, was in irgendeiner Form mit der Pflegebedürftigkeit und einem eventuellen Krankheitsverlauf deines Angehörigen zu tun hat, solltest du parat haben. Das Telefonat mit dem zuständigen Hausarzt ist sinnvoll. Allerdings muss dein Angehöriger auch damit einverstanden sein, dass du mit dem Arzt sprichst. So beschleunigst du später das Prozedere bei der Einstufung in einen Pflegegrad (EINSTUFUNG IN EINEN PFLEGEGRAD). Der Mitarbeiter des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung (MDK) bekommt schnell einen Überblick und du musst nichts nachreichen.
VIII. Setze dich mit einem Pflegedienst in Verbindung.
Sofern dein Angehöriger aus dem Krankenhaus entlassen worden ist und jetzt sofort, aber nur vorübergehend, auch medizinisch versorgt werden muss, suche dir einen ambulanten Pflegedienst. Die häusliche Krankenpflege im Sinne der Kurzzeit- beziehungsweise Krankenhausvermeidungspflege wird vom Arzt verordnet und ist zunächst unabhängig von der Einstufung in einen Pflegegrad für einen gewissen Zeitraum möglich.
IX. Was kostet das alles?
Mache dich schlau, welche Kosten in eurem speziellen Fall auf dich beziehungsweise deinen Angehörigen zukommen könnten, und wie viel Geld seitens der Pflegekasse zu erwarten ist. Damit du deshalb keine schlaflosen Nächte verbringen musst, lasse dir am besten von Experten dabei helfen. Beratung dazu gibt es ebenfalls bei den Pflegestützpunkten. Dort gibt es auch Tipps zu speziellen Fördergeldern – etwa für altersgerechten Umbau. Über den Pflegeleistungs-Helfer [3] kannst du dir einen ersten Überblick verschaffen, auf welche Leistungen der Pflegekasse dein Angehöriger Anspruch hat.
X. Die private Pflege-Pflichtversicherung.
Die private Pflege-Pflichtversicherung bietet die Pflegeberatung durch das Unternehmen "COMPASS Private Pflegeberatung" [4] an. Die Beratung erfolgt durch Pflegeberaterinnen oder Pflegeberater bei Ihnen zu Hause, in einer stationären Pflegeeinrichtung, im Krankenhaus oder in einer Rehabilitationseinrichtung.
Sich zeitlich Luft verschaffen: Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege
Zuhause müssen erst Vorbereitungen getroffen werden, bevor dein Angehöriger nach einem Krankenhausaufenthalt adäquat in den eigenen vier Wänden untergebracht werden kann? Später brauchst du auch mal Urlaub von der Pflege? Du bist selbst vorübergehend außer Gefecht, weil du krank bist? Oder Dann kannst du Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen – oder beides miteinander kombinieren. Kurzzeitpflege findet grundsätzlich stationär in einer Pflegeeinrichtung statt, Verhinderungspflege ist zuhause möglich. Weil die Bedingungen aber unterschiedlich sind und auch die Dauer jeweils begrenzt ist, lohnt ein genauer Blick auf den Anspruch. Voraussetzung ist, dass du bereits seit mindestens sechs Monaten deinen Angehörigen betreust. Bei Pflegegrad 1 kannst du lediglich den Entlastungsbetrag einsetzen.
Anspruch auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege
Ab Pflegegrad 2 besteht ein Anspruch auf 1.612 Euro pro Kalenderjahr jeweils für Kurzzeit- und auch für Verhinderungspflege. Die Leistungen für Verhinderungspflege können komplett auf die Kurzzeitpflege angerechnet werden. Dann stehen also maximal 3.224 Euro pro Kalenderjahr für Kurzzeitpflege (maximal acht Wochen) zur Verfügung. Das Geld für die Verhinderungspflege ist dann aber weg. Während dieser Zeit wird nur die Hälfte des Pflegegeldes ausgezahlt.
Andersherum können 50 Prozent des Anspruchs auf Kurzzeitpflegeleistungen (also die Hälfte von 1.612 Euro = 806 Euro pro Kalenderjahr) zusätzlich auf die Verhinderungspflege (maximal sechs Wochen pro Jahr) übertragen werden. Also stehen für Verhinderungspflege dann maximal 2.418 Euro pro Kalenderjahr zur Verfügung, für die Kurzzeitpflege nur noch 806 Euro. Auch während der Zeit der Verhinderungspflege wird nur die Hälfte des Pflegegeldes ausbezahlt.
Was kostet Verhinderungspflege?
Unter dem Strich kommt es darauf an, was genau du eigentlich jeden Tag selbst für deinen Angehörigen erledigst – und ob wirklich alles, was du machst, unbedingt erforderlich ist. Wenn du es besonders lieb meinst, dann tust du womöglich viel mehr, als es wirklich braucht. Deshalb solltest du dir klar darüber werden, welche Tätigkeiten während deines Ausfalls tatsächlich unbedingt erledigt werden müssen, und welche Dinge für eine Weile ausfallen oder seltener gemacht werden können. Um es überspitzt zu formulieren: Dein Angehöriger soll selbstverständlich ordentlich gekleidet und körperlich gepflegt sein, er soll anständig essen und trinken und nicht vereinsamen. Aber ob wirklich jeden Tag im Hausflur nass gewischt werden muss? Oder ob unbedingt während deiner Abwesenheit alle zwei Tage die Fenstersimse abgestaubt gehören?
Stundenweise Ersatzpflege unter acht Stunden täglich im Sinne der Verhinderungspflege spart Geld. Denn: Sobald der tägliche Ersatzpflegebedarf acht Stunden unterschreitet, wird das Pflegegeld auch während der Verhinderungspflege voll ausbezahlt. Natürlich kannst du dann nicht in Urlaub fahren. Aber wenn du beispielsweise einmal ausgehen möchtest oder selbst zum Arzt musst, dann kannst du diese stundenweise Ersatzpflege in Anspruch nehmen.
Rechnerei ist angesagt
Frage dich und frage deinen Angehörigen, worauf für ein Weilchen verzichtet werden kann. Dann könnt ihr auch besser einschätzen, wie weit das Geld der Pflegekasse für die Verhinderungspflege reicht. Wieviel genau ihr zur Verfügung habt, ist aber nicht automatisch ersichtlich. Grundsätzlich stehen zwar 1.612 Euro pro Kalenderjahr ab Pflegegrad 2 über einen Zeitraum von maximal sechs Wochen für Verhinderungspflege zur Verfügung. Aber: Das ist sehr vereinfacht gesagt. Zum einen können bis zu 50 Prozent des Budgets der Kurzzeitpflege zusätzlich verwendet werden. Zum anderen spielt es auch eine Rolle, ob du einen professionellen Dienstleister, etwa einen ambulanten Pflegedienst, beauftragst, oder ob eine andere Privatperson für dich einspringt.
Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge werden während der Verhinderungspflege von der Pflegekasse weitergezahlt. So bleibt der Rentenanspruch ohne Abstriche bestehen und der Arbeitslosenversicherungsschutz wird erhalten.
Wer springt ein: Pflegedienst oder Privatperson?
Wenn alles wie gewohnt zuhause bei deinem Angehörigen weitergehen soll, dann kann im Rahmen der Verhinderungspflege ein professioneller Dienstleister deine Aufgaben vorübergehend übernehmen. Als eine Art „Urlaubs- oder Krankheitsvertretung“ ist ein ambulanter Pflegedienst speziell dann eine gute Wahl, wenn ohnehin schon einer ins Haus kommt, um dich beispielsweise bei der Behandlungspflege zu unterstützen. In diesem Fall kennt dein Angehöriger auch das Personal und umgekehrt. Pflegedienste geben dir in der Regel einen Kostenvoranschlag und haben das Budget im Blick.
Wenn anstelle eines professionellen Dienstleisters eine andere Privatperson aus dem näheren Umfeld für dich einspringt, dann sieht die Sache anders aus. In diesem Fall gilt der 1,5-fache Betrag des Pflegegeldes als Obergrenze für die Leistungen der Pflegekasse. Angenommen, dein Angehöriger hat mit Pflegegrad 3 pro Monat 545 Euro zur Verfügung, dann dürfen für Verhinderungspflege maximal 817,50 Euro anfallen. Es sei denn, Mehrkosten, etwa durch eine längere Anfahrt, können nachgewiesen werden. Dann kann der Betrag bis 1.612 Euro erweitert werden. Zusätzlich zur Verhinderungspflege kannst du bis zu 50 Prozent aus dem Topf der Kurzzeitpflege auch für Verhinderungspflege einsetzen – wobei sich der Anspruch auf Kurzzeitpflege dadurch entsprechend verringert.
Fazit
Es lässt sich alles Schritt für Schritt regeln. Unterm Strich ist aber die Rechnerei speziell um die Verhinderungspflege etwas kompliziert. Behalte auf jeden Fall im Hinterkopf, dass das Pflegegeld halbiert wird, sobald die tägliche Ersatzpflege beziehungsweise deine Nichtverfügbarkeit mehr als acht Stunden beträgt. Und sei dir klar darüber, dass Mehrkosten über 1.612 Euro beziehungsweise mehr als der euch zustehende Betrag bei Pflege durch eine Privatperson entweder von euch privat bezahlt werden müssen oder vom Budget der Kurzzeitpflege abgezogen werden können. Lass dich von Experten beraten – entweder bei einem Pflegestützpunkt, oder frage den Pflegedienst, wenn ohnehin schon einer in euren täglichen Ablauf involviert ist. Notiere ehrlich den tatsächlichen Bedarf, dann kann realistisch besprochen werden, wann welche Hilfe statt deiner ins Haus kommen soll.
Quellen & Hinweise
[1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/haushaltshilfe.html
[2] https://www.wege-zur-pflege.de/themen/auszeit-im-akutfall.html
[3] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/pflegeleistungs-helfer.html
[4] https://www.compass-pflegeberatung.de/
https://www.wege-zur-pflege.de/themen/auszeit-im-akutfall.html
Kommentar von Susanne M. |
Was es bedeutet, einen Angehörigen zu pflegen, bekomme ich gerade bei meinem Partner mit. Seit seine Mutter vor gut einem Jahr einen Schlaganfall hatte, kann sie so gut wie nichts mehr selber machen. Zweimal am Tag kommt der Pflegedienst für die Grund- und Behandlungspflege, und der Rest bleibt an ihm hängen. Er selbst ist berufstätig und steht durch den ständigen Spagat zwischen Mutter, Job und Partnerin unter einem enormen Druck, sodass ich mich manchmal frage, wie lange er das noch durchhält.
Dabei geht es keineswegs darum, dass er im Haushalt viel mehr tut, als wirklich nötig ist. Selbst etwas an sich so Banales wie nachts durchzuschlafen ist ein Luxus, den er sich nicht mehr leisten kann, weil er alle vier bis fünf Stunden nach seiner Mutter schauen muss.