Die drei Siebe

Die drei Siebe

Unter einem großen alten Baum sitzen ein alter Mann und seine Frau im Schatten. Sie haben schon viel erlebt und wissen gut, was die Menschen so tun und was sie damit erreichen. Sie haben auch selber Kinder und die haben auch schon wieder welche. Das sind ihre Enkel, und sie sind jetzt schon die Großeltern. Früher mussten sie viel arbeiten, aber jetzt haben sie Zeit und freuen sich immer, wenn die Enkel sie besuchen.

Da kommt gerade wieder eins angelaufen und ruft noch ganz außer Atem: „Du, Oma, ich muss dir ganz was Wichtiges von unserem Nachbarkind erzählen!“
Die Oma nimmt ihr Enkelkind liebevoll auf den Schoß und sagt: „Warte erst mal. Weißt du denn genau, ob das, was du erzählen willst, auch wahr ist? Hast du es selbst erlebt? Hat das Nachbarkind es dir selbst erzählt? Oder ist es vielleicht so, dass die anderen Kinder dir das erzählt haben?“

„Die anderen haben es mir erzählt“, meint das Enkelkind ganz aufgeregt und will schon wieder anfangen zu berichten.
„Warte noch“, schaltet sich da der Opa ein. „Willst du das vom Nachbarkind sagen, weil du es gern magst, oder kannst du es etwa nicht leiden kannst und hast dich darüber geärgert und willst jetzt ein bisschen lästern?“

Da wird das Enkelkind nachdenklich, kuschelt sich an die Oma an und sagt erst mal nichts.
Der Opa fragt weiter: „Hilft das denn dem Nachbarkind, meinst du, es tut ihm gut, wenn du diese Dinge von ihm erzählst?“

Das Enkelkind wird noch nachdenklicher und antwortet nach einer Weile: „Ich glaube, ich erzähle das doch lieber nicht. Wer weiß, ob es überhaupt stimmt, und dann denkt ihr nur schlecht von ihm. Ich gehe lieber hin und spiele mit dem Nachbarkind. Das ist bestimmt viel besser und macht auch mehr Spaß.“

Das Enkelkind kuschelt sich noch einmal an die Oma, rutscht dann vom Schoß herunter und lacht zum Opa hinüber, und dann läuft es zum Spielen.

Oma und Opa schauen sich an, und sie sind sehr froh, dass sie so ein Enkelkind haben, das gelernt hat, erst einmal zu überlegen, ob das, was es über andere erzählen will, auch wirklich stimmt und ob es den anderen damit helfen kann.

Oma und Opa haben nämlich schon öfter erlebt, dass Freundschaften leiden können, wenn unüberlegt etwas weitererzählt wird. Und sie haben auch schon erlebt, wie weh das tut, wenn über sie selbst etwas erzählt wurde, was so überhaupt nicht stimmt.

Nach einer Sage von Sokrates

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