Alte Leute beim Einkaufen

Neulich im Supermarktdiscounterlebensmitteldrogeriegeschäft stehe ich vor dem Regal mit Hygiene- und Körperpflegemitteln. Eine 25m lange Reihe mit sechs Fächern vom Boden bis zur maximalen Reichhöhe eines durchschnittlichen Mitteleuropäers voller Shampoos, Duschgels, Rasierschaum und eine bunte Auswahl an ähnlichen Produkten. Die teuersten Artikel sind schön, wie es die Marktleiter in ihren Seminaren zur Käufermanipulation erfahren, auf Brust- und Augenhöhe aufgereiht; Billigware auf Knöchelhöhe, damit alte Leute sich auf keinen Fall bücken, die haben schließlich reichlich Rente. Ich bin auf der Suche nach einem Shampoo, nachdem das Supersonderangebot eines Superheldenshampoos aufgebraucht ist, das außer einer Comicfigur, die in bleihaltigen Farben auf die PET-Verpackung aufgedruckt war, keine besondere Eigenschaft besaß. Aber genau das ist es ja auch, was ich suche: einfach ein Shampoo für mein Kopfhaar.

Doch nachdem ich mit meinen Blick das fünfte Mal die komplette Reihe auf- und abschweife, geht mir auf: es gibt keine normalen Shampoos, zumindest in diesem Laden nicht, und wie weit muss man laufen, um ein Shampoo zu bekommen? Ich denke an meine Nordafrikareise, wo im Urlaubsort ein solcher Laden, nur nicht so groß aber besser sortiert, im Keller des Hotelhauptgebäudes untergebracht war, damit die Touris nicht mit den Einheimischen zusammentreffen. Passend wurden Horrorgeschichten von Verschleppungen und Organentnahmen erzählt, damit wir sicher sein konnten, wieso in osteuropäischen Ländern medizinische Versorgung so günstig ist, weil die innere Organe auf dem nordafrikanischen Markt kaufen.
Zurück im Hier und Jetzt taste ich nach meiner Leber, der Milz - alles noch da, sofern man das unter dem Fett- und Muskelgewebe meines Bauches beurteilen kann.

LADE ...
©Bild von Monfocus/Pixabay auf Alterix

Richtig: Shampoo. Gegen fettiges, trockenes, stumpfes, mattes, strapaziertes und gefärbtes Haar, eine ganze Reihe allein für Spliss und Schuppen - nein: gegen Schuppen, also fettige, trockene, juckende, enttäuschte und gefärbte Schuppen. Daneben Pre-Shampoo, Spülung, Conditioner … Puh, ich glaube, ich habe ein Problem, kommt es mir in den Sinn. Warum muss ich in meinem Alter überhaupt noch Haare haben? Wäre es nicht viel einfacher, mir eine Glatze zu rasieren? Ich blicke zu den Rasierutensilien hinüber. Nein, dann stehe ich wieder vor dem Problem, die richtige Pflege für die Kopfhaut zu finden. Außerdem, woher sollte ich jetzt schon wissen, ob meine Glatze dann schuppig, strapaziert oder fettig ist? Zum Glück gibt es keine Flaschen für gefärbte Glatze - zumindest nicht in diesem Laden.
Ich greife nach dem auf Bauchhöhe befindlichen Shampoo für strapaziertes Haar. Die Verpackung sieht nicht unnötig ‚öko’ aus, frische freundliche Farben, und das Preisschild an der Regalleiste ist rot unterlegt, das mir zusichert, es handele sich um reduzierte Ware. Damit kann ich am wenigsten falsch machen; denn nehme ich ein Shampoo für fettiges, also gegen trockenes Haar - ist fettig überhaupt das Gegenteil von trocken? - dann fettet es meine Haare, weil alles stimmt, was auf der Verpackung steht. Das will ich schließlich nicht. Umgekehrt genausowenig, dann trocknet es aus. Shampoo zur Anwendung bei strapaziertem Haar ist auf jeden Fall die richtige Wahl. Denn wenn es wirkt, haben wir alle etwas davon. Auf dem Weg zur Kasse spüre ich schon, wie mein Haar sich entspannt.

Ich kehre noch einmal an das Drogenregal zurück, ob es vielleicht ein Anti-Entspannungsshampoo gibt. Denn nachher sind meine Haare so entspannt, dass sie ausfallen - ist entspannt überhaupt das Gegenteil von strapaziert? Denn es gibt anders als bei ‚trocken - fettig‘ keine Analogie bei den Verheißungen auf den Blümchen- und Wiesenbildern der Etiketten. Wer assoziiert überhaupt eine Blumenwiese mit gesundem Haar? Denken darf ich das, aber das Wort ‚gesund‘ benutzen dürfen Werbetexter nicht mehr. Ähnlich wie ‚frisch‘, das jetzt ‚direkt heißt, eine echte Bereicherung der Sprache …
Ich bin überzeugt, dass ‚Spannkraft‘ das Stichwort ist, das ‚strapaziert‘ gegenübersteht. Auch wenn noch mehr Spannkraft dazu führt, dass meine Frisur aussieht wie bei Bart Simpson - also das Gegenteil von Homer. Ich entdecke noch ein Shampoo auf Kniescheibenhöhe und hocke mich hin. Tatsächlich, ‚natürliche Spannkraft für Ihr strapaziertes Haar‘ - als würde der Texter mich kennen. Und ich kann es ohne Lesehilfe erkennen, Mal wieder an alte Leute gedacht die Produktentwickler. Oh, nur jetzt muss ich wieder hoch. Was nützt mir all die Kraft in meinen Haaren, wenn sie nicht mehr in den Beinen steckt? Bestimmt stehen im Regal bei meinem nächsten Besuch Shampoos für alte Beine - ganz oben.

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