Brexitfolgen für Fortgeschrittene

Da dachten wir schon, das Thema Brexit wäre durch und die Insel würde aus unser aller europäischem Bewusstsein weggespült werden, da fällt ihnen zur Teezeit ein (wenn wir meinen, es wäre ‚Fünf vor Zwölf‘, dann gilt in Britannien ‚right about tea time‘), dass ein Großteil der Logistik in neuralgischen Versorgungsbereichen durch europäische Nachbarn absolviert wurde.

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Wieso werden Straßen gesperrt, wenn Menschen 'Marathon' laufen? Berlin ist fast so gut organisiert wie London

Statt sich über den zeitgleich zu den vier Abstimmungen in Berlin (Bundestag, Abgeordnetenhaus, Bezirksparlament und Enteignung von 3000+Wohnungsgesellschaften) stattfindenden Berlin-Marathon zu echauffieren, der erst seit zwei Jahren geplant wurde, da er im vergangenen Sommer ausgefallen ist, weiß die großbritische Regierung ja erst seit zwei Wochen, dass die Fahrer für Lebensmittel von dem europäischen Kontinent ebenfalls von der alten Welt stammen und somit ein Visum für die Einreise und Auslieferung an die wartenden Geschäfte benötigen. Vor 48 Jahren streikten dort die Bahnmitarbeiter, um für den Erhalt des Heizerberufs zu kämpfen. Das war damals wichtig, denn es ging darum, ob in neuen elektrischen Triebwagen ein Sitzplatz für den Heizer eingebaut werden sollte, der die imaginären Kohlen in den ebensolchen Kessel schaufelt. Wohlgemerkt ging es darum, dass Heizer weiterhin ein Ausbildungsberuf bleibt: sitzen, Augen öffnen und schließen und gegebenenfalls mit dem Lokführer reden.

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Die Gründe für leere Regale können vielfältig sein - es liegt aber in GB keinesfalls an fehlender Ware - sie kommt nur nicht an.

Die LKW-Fahrer haben seit je her keine Lobby, daher wurden die unterbezahlten Jobs einzig von Festlandeinreisenden ausgeübt, die überraschenderweise weggefallen sind, ihnen aber wegen des dringenden Sparkurses auch keine Besserbezahlung angeboten wurde. Als Schnellmaßnahme dachte sich Boris, könnte man ja ein Auge zudrücken und 300 kurzfristige Visa anbieten. Das Warten in der LKW-Schlange sind die letzten auf der Insel verbliebenen ausländischen Fahrer ja gewohnt.
Kniffelig wurde aber vor allem, dass neben leergekauften Regalen im Supermarkt das schöne Benzin in den Silos vor sich hin gärt und nicht an die Tankstellen gelangt.
Doch die weitsichtige Regierung des Inselköniginnenreichs hieße ja nicht Tory, wenn sie nicht wenigstens zwei Asse im Ärmel hätte: nun wurden die noch heimdienenden Soldaten mit LKW-Führerschein eingesetzt, um die Bevölkerung in den kilometerlangen Autoschlangen vor - oder heißt es hinter? - den Tankstellen zu beruhigen.

Wichtig

‚Das Benzin ist nicht knapp - macht keine Panikkäufe’
Mit dieser gleichermaßen diplomatischen wie halbwahren Parole sollen die Briten darüber informiert werden, dass der Sprit in den Silos vorhanden ist, aber nicht an die Tankstellen geliefert wird

Ein Uniformierter mit bewaffnetem Begleitschutz in Tarnanzügen mag die randalierenden Autofahrer mit ihren Ersatzkanistern abschrecken, aber nicht Säuglinge im Kindersitz.
Dass diese Maßnahme ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, weiß jeder, der im März 2020 Angela Merkel hat sagen hören: in zwei Wochen ist das mit den Einschränkungen vorbei.

Doch das zweite Ass von Johnson & Zombies sind die ausharrenden deutschen Bewohner auf der Insel. Irgendwer muss den Angelsachsen erzählt haben, dass der ‚alte’ deutsche Führerschein Klasse 3 zum Führen eines LKW berechtigt. Es ist leider nicht überliefert, ob mit der schriftlichen Einladung ein finanzielles Angebot ergangen ist. Und ein kleiner Wermutstropfen in dem selbstgebrannten Mineralölskandal ist die Kleinigkeit, dass die gute deutsche Fahrerlaubnis keinen Transport von Gefahrgütern einschließt, für die eine gesonderte Schulung erforderlich ist. Sonst würde in Deutschland ja jeder seinen eigenen Tanklaster fahren, damit er nie wieder tanken muss.

Hinweis

In der Tat verbraucht ein PKW während seiner gesamten Betriebsdauer weniger Treibstoff als ein handelsüblicher LKW-Container fasst.

Die Zahlen zu dem Chaos scheinen noch überschaubar: 8000 Tankstellen im Land (zum Vergleich, in Westdeutschland gab es 1970 vor der Ölkrise etwa 46.000 Tankstellen, heute noch 14.500, 105 davon mit Elektroladeoption, die zu 20% betriebsbereit sind, 2 davon auf Helgoland), 500 potentielle nicht militärische Neubedienstete im Traumberuf Tanklasterfahrer, das heißt: um eine flächendeckende Versorgung zeitnah bis Ende Oktober wieder herzustellen, müsste jeder mit vor 1989 in der BRD ausgestelltem PKW-Führerschein nur fünfmal am Tag zwischen Silo und zu beliefernder Tankstelle pendeln. Das Befüllen jeweils des Tanks im LKW und der Läger an den Tankstellen kostet 30 Minuten und dazwischen bei Höchstgeschwindigkeit 89 km/h im Mittel 1424 km absolvieren. Kein Problem bei einem 83-Stunden-Tag mit einer halbstündigen Mittagspause. Zum Glück gibt es die Lenkzeitenregelung und den Mindestlohn in Großbritannien nicht. Alle Angeschriebenen werden sich darum reißen und keine Fragen haben - die haben sie alle schon vor dem Brexit gestellt.

 

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Kommentare

Kommentar von dieter |

Ja, wie ich neulich in einer Satiresendung gehört habe: wenn Bulgaren einen Job nicht machen wollen, stecken die Briten echt in Schwierigkeiten.

Kommentar von Frank Dreesbach |

Trotzdem bin ich sicher, das es keinen Tanklaster mit einer Gesamtmasse bis 7,5 t gibt, den ich - abgesehen vom Gefahrgut - mit meinem 3er Lappen fahren dürfte. Hier fällt wieder auf, dass fast alle Schreiber von alterix von der eigenen Zielgruppe noch etliche Jahre entfernt sind.

Antwort von Content Manager

Wohl wahr ... aber das Schreiben der britischen Regierung, auf das sich der Artikel bezieht, lässst nicht erahnen, ob die Engländer wissen, was ein deutscher Klasse 3 Führerschein ist.

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